Montag, 12. Oktober 2009

Schuld und Sühne




Das fand ich gut.

Es gibt ein paar Wahrheiten, die gelten auch noch 13 Jahre, nachdem sie verkündet wurden. Selbst im Journalismus. Harry Rowohlt in der ZEIT(1996):
Drei weitere altehrwürdige Tabusätze für Journalisten sind:
"Als ich die Gangway hinunterstieg, schlug mir die dumpfig-schwüle Atmosphäre des Inneren Gran Chaco entgegen wie ein feuchtes Handtuch", weil selbst die abgebrühteste Brigitte-Leserin inzwischen weiß, daß die Atmosphäre im Inneren Gran Chaco aus feuchten Handtüchern besteht und gar nicht anders kann und deshalb entschuldigt ist.
"Der Taxifahrer sagt mir . . .", weil man auf diese Weise verrät, daß man keinerlei Kontakt zu den Einheimischen hatte.
"Am Canal St.-Martin scheint die Zeit stehengeblieben zu sein", obwohl es stimmt, weil es unfein ist. So was sagt man nicht.
Und der Tsp. beweist uns, wie aktuell die Warnungen heute noch sind.

Beschleunigung
Vor Wochenfrist saß ich in Jerusalem in einem Taxi und stand – was für diese Stadt nun wirklich nicht untypisch ist – in einem schweren Verkehrsstau, der dadurch entstanden war, dass von allen vier Seiten einer Kreuzung Autos aufeinander zugefahren waren und keiner dem anderen Vorfahrt geben wollte. Um den Taxifahrer zu beruhigen, der über die Situation etwas erregt war, begann ich mit ihm ein Gespräch darüber, dass die nahöstliche Stadt in den vergangenen Jahrzehnten (ich kenne sie seit 1983) doch sehr viel hektischer geworden sei. Und ich trug Hypothesen darüber vor, warum das so sei, nannte beispielsweise den stark angestiegenen Individualverkehr. Da drehte sich der Fahrer zu mir um, setzte ein sehr ernstes Gesicht auf und sagte (in ziemlich gebrochenem Englisch): „Nein, der wahre Grund ist ein ganz anderer: Die Erde dreht sich immer schneller“. (Markschies, S. 26)
Die eigentliche Perle befindet sich aber schon in den ersten zwei Worten: „Vor Wochenfrist“. Einfache Journalisten sind vor zwei Wochen mal Taxi gefahren, um sich die Recherche zu ersparen, Unipräsidenten machen das „vor Wochenfrist“ (und vor Ort, vermute ich.)

Das fand ich nicht gut.

Noch mal „Wissen“, noch mal S. 26. Unter „Gerügte Forscher“ ist zu lesen:
Nach Prüfung der Vorgänge sei die DFG zu dem Schluss gekommen, dass bei 13 Personen ein wissenschaftliches Fehlverhalten – also Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit – vorliege.
Aha: Es gibt als zwei Formen des wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Und sicherlich gibt es auch zwei Schuldformen (Vollendung und Versuch), zwei Rechtfertigungsgründe (Verbrechen und Vergehen) und zwei Verjährungsfristen (Schuld und Sühne).


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