Samstag, 14. Mai 2011

Il y a des juges




Zu BGH NJW 2011, 1363


Die Entscheidung des BGH ist nicht besonders spektakulär und wirkt auf den ersten Blick wie viele andere Wiedereinsetzungsentscheidungen des BGH, die man regelmäßig in der NJW findet (neben Schönheitsreparaturen im Wohnraummietrecht offensichtlich ein Steckenpferd des höchsten Zivilgerichts). Sieht man aber etwas genauer hin, zeigt der Fall wieder einmal, wie herablassend, blasiert und kaltschnäuzig die Justiz – hier das OLG Frankfurt – oft mit seiner Kundschaft umgeht.

Der Sachverhalt in Kürze:
Der Kläger, ein Rechtsanwalt, hat gegen ein Urteil des LG, das ihm am 27. Juli 2010 zugestellt worden ist, rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 8. Oktober 2010 beim OLG eingegangen. Der Kläger hat am gleichen Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und folgendes ausgeführt: Er habe als die Berufungsbegründung am 1. September 2010 mit der Anschrift: "Postfach 100 101, 60001 Frankfurt am Main" versehen abgesendet. Die Anschrift habe er dem Werk "NOMOS Taschenjurist 2008" entnommen. Der Brief sei am 3. September 2010 als unzustellbar zurückgekommen. Vom 2. September 2010 bis zum 5. Oktober 2010 seien die Kläger urlaubsbedingt in Kanada gewesen und hätten erst bei ihrer Rückkehr von der fehlgeschlagenen Zustellung Kenntnis erhalten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass das OLG noch vor Ablauf der Begründungsfrist durchentschieden habe, und dass auch in der Neuauflage des NOMOS die falsche Adresse des OLG Frankfurt stehe.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist nicht ein Skandal, es sind gleich drei.

1. Die Nichtzustellung
Dass das OLG dem Kläger die „falsche Adressierung“ zum Vorwurf gemacht hat, gliedert sich auf in zwei für sich allein genommen schon hochkarätige Unterskandale.
a) Die Adressierung war gar nicht falsch. Die vom Kläger gewählte Adresse befindet sich nach wie vor auf der offiziellen Homepage des Amtsgerichts Friedberg. Wenn das OLG dann umzieht, muss es einen Nachsendeantrag stellen. Wie jeder andere auch.
b) Wer ist denn eigentlich der böse Bube in dem miesen Spiel? Der Kläger, der die Justiz belästigt? Der Beklagte, der sicherlich die Zurückweisung der Wiedereinsetzung beantragt hat? Nein, natürlich die Post. Ein staatliches Unternehmen, das jedes Jahr im Dezember stolz verkündet, dass es jeden Brief an den „Weinachzmann“ (o.ä.) buchstäblich postwendend nach „16798 Himmelpfort“ weiterleitet, kriegt es nicht fertig, eine Berufungsbegründung beim „OLG Frankfurt am Main“ zuzustellen?

2. Der Prüfungsmaßstab

Wenn man zwei Hürden – dazu später – genommen hat, kann man in der Berufungsbegründung keine Fehler mehr machen. Man kann sich auf Gesetze berufen, die es nicht mehr oder noch nicht gibt, auf Urteile, die nie gesprochen wurden, man kann die abwegigsten Theorien vertreten und das Blaue vom Himmel erzählen – alles unschädlich und reparabel. Aber bei zwei Dingen kennen wir keinen Spaß und schon gar kein Pardon: Die Anschrift, Postleitzahl und Faxnummer müssen stimmen, haargenau und fehlerfrei, sonst war alles umsonst. Und natürlich die Unterschrift: die muss akkurat und lesbar sein und – ganz wichtig! – sich unter der Grußformel („Beglaubigte Abschrift anbei“) befinden.

3. Blitzverfahren

Mehrfach und jeweils einstimmig hat der Europäische Gerichtshof Deutschland gerügt, weil „die Überlänge der deutschen Gerichtsverfahren ein strukturelles Problem darstellt“. Nicht so in Frankfurt. Nimmt man das Ende der Begründungsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag als Ausgangszeitpunkt, hat das OLG Frankfurt für seine Entscheidung – 9 (in Worten: minus neun) Tage gebraucht.



Mittwoch, 20. April 2011

Aus 2 mach 3 II. Teil


In 2:03:02 Stunden hat Geoffrey Mutai am Montag den Boston-Marathon gewonnen und damit den Trend zur Höchstgeschwindigkeit im Langstreckenlauf derart auf die Spitze getrieben, dass die Experten im ersten Augenblick glaubten, im US-Bundesstaat Massachusetts laufen die Uhren schneller.


Feine Experten sind das. Im zweiten Augenblick haben sie wahrscheinlich geglaubt, dass nicht die Uhr schneller gelaufen sein muss, sondern Mutai war einfach langsamer. Oder so.

Anne-Sophie Mutter, 47, Violinistin und zweifache Mutter, …
Nä. So wird das nix. Brauch ich gar nicht weiter zu lesen.

Dienstag, 19. April 2011

Aus 2 mach 3

Man darf wohl getrost sagen, dass Oliver und Alessandra Pocher die verschiedenen Beziehungsstufen bislang im Turbo durchlaufen haben. Wie jetzt bekannt wurde, ist die 28-Jährige schwanger - mit Zwillingen.
Als sie die Nachricht erhielt, sei sie zunächst sprachlos gewesen, sagte die Tochter des 1997 verstorbenen Tennismanagers Axel Meyer-Wölden der Zeitschrift Bunte. "Als mein Gehirn wieder normal funktionierte, dachte ich: Oh, mein Gott, drei Kinder. Wie schaffen wir das bloß?"
Noch mal, weil's so schön ist. "Als mein Gehirn wieder normal funktionierte, dachte ich: Oh, mein Gott."

Wie ist es eigentlich, wenn ein C-Promi-Hirn wieder "normal funktioniert"? Und wieso sind die nicht längst geschieden, wenn sie doch bislang die verschiedenen Beziehungsstufen im Turbo durchlaufen haben?

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Tempelhof 21






Wie begründet man seine eigene Meinung, wenn man sich selbst nicht ganz sicher ist, ob es eine gescheite Begründung überhaupt gibt? Am besten, man fängt mit einer Prämisse an, die man selbst nicht begründen muss, und die man sich am einfachsten vom Stammtisch ausleiht, dem ja jetzt keiner mehr zu widersprechen wagt („Es muss doch noch erlaubt sein,…“. „Danke, Herr Sarrazin, das reicht.“)


Vo da an ist es dann nicht mehr sehr schwer, jedem Unsinn irgendwie eine Begründung zu verpassen. Gute Beispiele für Stammtischwahrheiten sind:

- Die Radfahrer werden immer unverschämter und halten sich an keine Regeln (geht auf Heinz Erhardt zurück, ist aber immer noch genauso wahr wie vor 60 Jahren)

- Die Jugend von heute lernt nichts Gescheites und kennt keine Disziplin (Goethe oder Humboldt oder wer auch immer, vermutlich auch Marx)

- Der Fußball war früher ehrlicher (Fritz Walther)

- Heutige Generationen kennen keinen Anstand, sondern nur noch Egoismus (Aristoteles [Onassis])

- Früher war sogar die Vergangenheit besser (RCC)

Uihh. Die vom Tagesspiegel wollen, dass wir (Schneider & Elitz) begründen, warum man den Flughafen Tempelhof sofort wieder einzäunen sollte.

„Am besten, wir fangen mit irgendwas an, das keiner anzweifelt, weil es gut klingt“, sagte Elitz zu mir, „dann wird auch der Rest nicht angezweifelt“. „Gut“, entgegnete ich, „also: Die Radfahrer werden immer unverschämter.“ „Nicht schlecht. Aber das wird ein langer Bogen bis zur Fliegerei.“

Und dann hatten wir es:

Der Flughafen Tempelhof ist ein Mythos. Er steht für zwei Menschheitsträume – für die Befreiung des Menschen von der Erdenschwere, den Traum vom Fliegen, und er steht für die Sehnsucht nach Freiheit.
Sauberer Einstieg. Mythos ist ein gutes Ticket für die abwegigsten Schlussfolgerungen. Aber Elitz blieb skeptisch. War das nicht ein bisschen zu deutsch – Menschheitsträume, Erdenschwere und so? Am besten lassen wir’n zertifzizierten Weltbürger noch mal ran.

Auf dem 300-Hektar-Areal im Herzen Berlins haben sich beide Menschheitsträume erfüllt. 1923 wurde hier der erste Verkehrsflughafen der Welt eröffnet. Damit wurde Tempelhof zur „mother of airports“, zur „Mutter aller Flughäfen“, wie der Weltbürger Norman Foster das Flugfeld rühmt.
So, jetzt haben wir’s. Alles drin, oder? Nein, sagt Elitz, „mother of inventions“ klinge zu sehr nach Frank Zappa, wir müssen auch was für die Frankophilen in Zehlendorf schreiben. Gesagt, getan.

Wer diesem Welt-Ort, dem „lieu de mémoire“, dessen Größe und markante Umrisse noch im Weltraum deutlich erkennbar sind, eine würdige Zukunft geben will, muss den Traum vom Fliegen und die Sehnsucht nach Freiheit zur zentralen Idee einer Neugestaltung des Geländes erklären.
Das Fundament war gelegt. Jetzt ein kurzer und tollkühnenr Sprung über die „etwas andere Zeit“ (hi hi, sagt des Elitz, immerhin auch ein Mythos) unseres “lieu des mères“ und dann schenken wir erst den Russen einen ein, und dann dem Wowi.

Vier Jahrzehnte später wurde Tempelhof zu einem Welt-Ort der Freiheit. Als vom Juni 1948 bis zum Mai 1949 ein schier unendlicher Strom von Flugzeugen voller Lebensmittel die 2,2 Millionen Bewohner der West-Stadt vor der von Stalin gesetzten Alternative „Kommunismus oder Verhungern“ bewahrte, wurde dem nach Westen drängenden System der Freiheitsverachtung eine klare Grenze gesetzt. Die Sowjets kapitulierten; dank der Luftbrücke überlebte West-Berlin und wurde zum Symbol hart erkämpfter politischer und persönlicher Freiheit. Die Ausstrahlung der Stadt als Leuchtfeuer freien Denkens mitten im sowjetischen Machtbereich hat entscheidend zum Fall des Eisernen Vorhangs und zum Sieg der Demokratie auf dem wiedervereinten europäischen Kontinent beigetragen. So haben sich beide Träume der Menschheit an diesem Ort in einmaliger Weise historisch verknüpft. Ohne die Freiheit des Menschen, mit dem Fliegen alle Grenzen zu überwinden, wäre die politische Freiheit nicht zu gewinnen gewesen.. Der Flughafen Tempelhof ist mehr als ein lokaler Bebauungsraum, er ist Ort und Denkmal der Weltgeschichte.

In Berlin wird Weltgeschichte auf Bezirksamtsebene behandelt. Was die Stadtentwicklungspolitik des Senats für Tempelhof plant, hat für die Menschheit schon jenseits von Nauen keine Bedeutung mehr. Auffälligstes Merkmal dieser Planung ist der Verzicht auf jede Ambition jenseits des Gewöhnlichen. Berlin verabschiedet sich vom historischen Mythos und richtet sich im Alltäglichen ein. Hier heißt das Leitmotiv Freizeit – nicht Freiheit.
Den nächsten Abschnitt hatten wir in Windeseile fertig. „Natürlich darf man ein solches Juwel, ein Denkmal der Weltgeschichte und ein Symbol hart erkämpfter Freiheit nicht denen überlassen, die damit gar nichts anfangen können und nichts dafür getan haben, etwa den Hartzern aus Neukölln, den Dealern aus der Hasenheide, Frau Klabuffke aus Tempelhof oder – ganz allgemein – dem Pöbel, dem Preklariat, kurz: dem gemeinen Volk. Wir entweihen schließlich auch nicht dieses Heiligtum, sondern geben uns mit dem zufrieden, was gleich vor unserer Haustüre liegt: dem Grunewald und dem Schlachtensee. Dann kann man das auch von denen verlangen, die nur von Transferleistungen leben. Wo kämen wir hin, wenn das Symbol der Freiheit frei zugänglich wäre?“

Großer Beifall in der Redaktionskonferenz. Trotzdem kam der Chefredakteur hinterher zu uns. Er wirkte etwas nervös, und es war ihm sichtlich peinlich. „Ihr habt den Nagel auf den Kopf getroffen, aber…“ „Aber was?“, konterte Elitz gereizt. „Ähem. Wir haben immer noch ein paar Abonenten in den Slums. Vielleicht könnt ihr den letzten Absatz ein bisschen umschreiben?“ Der Elitz und ich sahen ihn feindselig an. Wir wollten schon den alten Mist mit der Schere im Kopf rausholen, aber dann sahen wir die zwei Premierenkarten, die der Chef wie zufällig fallen ließ. Er hatte ja recht: Weniger plakativ kann noch schmerzhafter sein.

Verbunden mit dem so bürgerfreundlich klingenden Angebot vielfältiger Zwischennutzung wird das Ganze im Chaos landen. Denn haben erst mal Scater, Speedminton-Spieler, Currywurst-Brater, Strandsegler, Schrebergärtner und Mountain-Biker sich des Geländes bemächtigt, wird jeder, dem doch noch eine Idee für das Ganze kommt, kapitulieren müssen vor den allfälligen Demonstrationen, Volksbegehren und Rathausbesetzungen. Die Aneignungsselbstsucht kennt nur das besitzanzeigende Substantiv „Nutzung“.
Wir lasen uns das gegenseitig immer wieder vor, und kamen kaum raus aus dem Lachen. Schließlich, nach einem weiteren „vin de mémoire“, kamen wir auch noch auf einen gute Schlusspointe. Immerhin sollten wir ja auch Anregungen für eine gemeinnützige Aneignung geben. Der Elitz ist Prof für Kulturmanagement, und ich halt Architekt. Beide sind wir bei der „Stiftung Zukunft“ (hi hi) tätig, einem Freudeskreis der Berliner Wirtschaft, die 300 Hektar Bauland in der City gut verscherbeln könnte.

Wer dem widerstehen will, muss den Flughafen Tempelhof aus dem provinziellen Zugriff des Berliner Behördendenkens befreien. Der Ort, an dem sich im 20. Jahrhundert historisch fassbar zwei Menschheitsträume – vom Fliegen und von der Freiheit – erfüllt haben, braucht ein international besetztes Schutzkomitee, in dem Planer, Architekten, Geschichtswissenschaftler und Kunsthistoriker von Weltruf eine Idee für die Gesamtgestaltung dieses „lieu de mémoire“ entwerfen. Kleinmut gibt es im Überfluss. Einfach mal das Große versuchen. Dieser Ort verdient einen großen Entwurf und die Tatkraft, ihn umzusetzen.
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Natürlich wäre es schön, wenn Bernd Schneider und Ernst Elitz nicht, wie hier angenommen, in Schlachtensee oder Dahlem wohnten, sondern in Stahnsdorf oder Kleinmachnow. Dann hätten sie nämlich demnächst das Neue Akustische Denkmal für die „erfüllte Freiheitssehnsucht und seiner grandiosen Raumfigur“ der „daughter of the mother of airports“ (BBI) ganz in ihrer Nähe.





Montag, 2. August 2010

360°






Das hat mir gefallen

Solide Storchenberichterstattung aus Polen ist natürlich immer einer der Höhepunkte der täglichen Zeitungslektüre. Ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Das muss man Paul Flückiger hoch anrechnen. Nur mit dem Zählen scheint er es nicht so zu haben. Erst heißt es:

Bei der letzten Storchenzählung im Jahre 2004 wurden in Polen 52 500 Storchenpaare gezählt. Das entspricht einem Zuwachs von etwa 25 Prozent in nur zehn Jahren.
Am Schluss liest man aber das hier.

Seit dem EU-Beitritt verliert Polen jedes Jahr vier bis fünf Prozent seiner Störche.
Ja, was denn jetzt? Da Polen der EU 2004 beigetreten ist, müssten seither 24 bis 30 Prozent verloren gegangen sein. Aber wie kriegt man das raus, wenn man seit 2004 keine Störche mehr gezählt hat?

Das hat mir nicht gefallen

Robert Leicht beklagt sich über die linke Journaille, der es Rechtsaußenpolitiker wie Koch oder Althaus einfach nicht recht machen können. Fiese Typen sind diese Journalisten, die ihre Fähnchen immer in den Wind halten und vor den absurdesten Kehrmanövern nicht zurückschrecken.

Sei's drum, als sich dann in drei Wahlgängen zeigte, dass die Wahlleute eben doch nicht bloß stumpfes Stimmvieh waren, hat sich die Journaille nicht nur nicht an die eigene Brust geklopft und die Fehleinschätzung eines total gezinkten Spiels korrigiert. Sondern nun wurde – erinnerungs- und besinnungslos – die Herdenrichtung um 360 Grad gedreht: Nun galt die Kanzlerin als die politische Versagerin, die es nicht geschafft hatte, ihre Truppen beieinander zu halten, also das zustande zu bringen, was man ihr vorher als undemokratisch vorgeworfen hatte.
Boah. Dreihundertsechzig Grad!
P.S.: Inzwischen haben (vermutlich linksradikale) Hacker die Gradzahl im Online-Spitzel halbiert.




Sonntag, 1. August 2010

Everybody's Got Something To Hide Except Me And My Monkey




50 Jahre Beatles, und jeder, der beim Tagesspiegel schreiben darf, darf mal ran. Da trennt sich natürlich schnell und deutlich die Spreu vom Weizen.

Fangen wir mit dem Spreu an, also Martenstein. Er entscheidet sich für „Yesterday“. Klar, nur "Ob-La-Di" oder "Yellow Submarine" hätten besser zu ihm gepasst.

Das Lied ist ganz schlicht, wie es scheint, es will zu keiner Sekunde hoch hinaus. Gestern war es schön, heute ist es nicht mehr schön, fertig. Das Lied will, wie es scheint, nicht beeindrucken, es trägt sich selbst, deshalb wirkt es wahr und ergreift Millionen von Hörern.
Beschissen geschrieben, und unwahr wie die Bibel. Kaum ein Lied der Beatles ist in Hinblick auf die Harmonien komplexer als „Yesterday“: F-Dur, A-Dur, C-Dur, G-Dur, E-Moll, B-Dur, D-Moll, G-Moll, etc, alles drin. Ist irgendwo zwischen dem Intro von „Light My Fire“ und dem „Wohltemperierten Klavier“, jedenfalls nicht „schön, fertig, schlicht“.

Der Weizen: Patricia Wolf mit „Norwegian Wood“. Da muss ich ein bisschen ausholen. Es gibt Klasse Beatles-Lieder mit doofen Titeln („A Day In The Life“), und doofe Beatles-Lieder mit Klasse-Titeln („Norwegian Wood“), nur manchmal ist beides richtig Klasse ("Happiness Is A Warm Gun", "Strawberry Fields Forever", "Everybody's Got Something To Hide Except Me And My Monkey"). Und klugerweise hat sich Frau Wolf Kategorie 2 ausgesucht, um saustark und sauschlau am Thema vorbeizuschreiben. Es gibt wirklich nichts Klügeres zu „Norwegian Wood“ zu sagen, als dass es ein Buch gibt, das denselben Titel hat, und zufällig eines der schönsten Bücher der Welt ist. Ah… „Norwegian Wood“, Murakami. Herrlich!!

Dieselbe Technik hätte sie übrigens auch bei "The Fool On The Hill" (Matt Ruff) anwenden können. Machen wir dann zum 60., ok?





Freitag, 30. Juli 2010

Anstand




Das hat mir gefallen

Als gebürtiger Duisburger freut man sich natürlich, dass sich schlagartig alle überregionalen Zeitungen entschlossen haben, täglich eine Extra-Seite einzurichten mit Duisburger Lokalnachrichten. Sogar die Schnarchnasen vom Tagesspiegel, die die Stadt vermutlich erst einmal in ihrem Diercke-Weltatlas suchen mussten.

Das hat mir nicht gefallen

Ist eigentlich nicht unsere Art, Nachrufe zu kommentieren, aber heute muss es sein. Nichts gegen den Verstorbenen, aber gegen dieses Fazit von Herrn Eisenhauer

Er hat nie ein Aufheben um seine Zeit als Fluchthelfer gemacht. Bleibt die Frage: Woher rührte damals sein Mut? Die Antwort ist einfach, aber sie klingt ein wenig antiquiert: Er besaß ein Gefühl für Anstand.
Warum antiquiert? Wo kommt das Gefühl her, dass früher immer alles besser war (selbst die Vergangenheit war früher besser). Schon Goethe soll über die „Jugend von heuthe“ hergezogen haben. Kann man damit mal endlich aufhören? Von welchen Zeiten schwärmt Eisenhauer eigentlich, in denen es angeblich mehr Anstand gab als heute? Von der Dekadenzphase der alten Römer, dem Mittelalter, als man „Hexen“ verbrannt und in Südamerika ganze Völker abgeschlachtet hat? Vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation? Kolonialzeiten? Von den Weltkriegen, dem Holocaust, dem Wirtschaftswunder oder dem Vietnamkrieg?

Ja, auch zu diesen Zeiten hat es immer „Anstand“ gegeben, aber nicht mehr als heute.

Freitag, 16. Juli 2010

Weißbier




Der Tagespiegel erklärt nur mit ein paar Tagen Verspätung, was schon am Sonntag im SPIEGEL stand: Dass Hahnemann an zwei Theorien glaubte: Man kann jede Krankheit mit dem heilen, was sie verursacht, und: je weniger man davon nimmt, umso besser klappt’s.

Davon, dass die eine Annahme stimmt, und die andere Blödsinn ist, kann sich jeder jeden Tag selbst überzeugen. Anhand der größten und übelsten Geißel der Menschheit, dem Kater. Dagegen hilft nun wirklich – ich hab alles ausprobiert – nichts anderes als ein paar Weißbier zum Frühstück, aber bei der Dosierung darf man einfach nicht sparen.





Montag, 12. Juli 2010

Teheran







Das ist Hans Färber, der aktuelle GEZ-Verwaltungsratsvorsitzende. Färber wurde 1952 geboren und studierte Wirtschaftspädagogik und Betriebswirtschaftslehre. Man sollte also eigentlich annehmen, dass er sich alters- und ausbidlungsgemäß sowie von Amts wegen im "Zahlenraum über Hundert" auskennt. Großer Irrtum. Der Tagespiegel hat’s aufgedeckt:  

Die „Financial Times Deutschland“ hatte berichtet, die Umstellung auf die Haushaltspauschale werde bei der GEZ 150 Millionen Euro Zusatzkosten verursachen. Dietz nannte diese Angabe „völlig unrealistisch“. Auch der GEZ-Verwaltungsratsvorsitzende Hans Färber wies die Summe als „nicht nachvollziehbar“ zurück.
Wir nehmen mal an, dass Herr Färber den Begriff „Summe“ schon irgendwie nachvollziehen kann. (Zur Erinnerung: Das ist, wenn man Äpfel nicht wegnimmt, teilt oder stapelt, sondern einfach nur zählt). Also muss es die Höhe der Summe sein, die er als nicht nachvollziehbar zurückweist. Bis wohin geht’s denn, Herr Färber? 300.000 (geschätztes Jahresgehalt)? 1.000.000 (der Preis fürs bescheidene Eigenheim im Grünen)? 50.000.000 (Peanuts)? Dabei ist es so einfach: Wenn man 150.000.000 1-Euromünzen nebeneinander legt und damit in Frankfurt anfängt, dann reicht die Schlange bis Teheran.

Sonntag, 4. Juli 2010

A & Z




“saw you in Mercedes Benz
Practicing self-defense
You got it pretty good I guess
I couldn't see your eyes
You're really stupid, girl.”

(NEIL YOUNG, “Zuma”, 1975)
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“Let me whisper in your ear:
Angie, Angie, where will it lead us from here?
(THE ROLLING STONES, “Angie”, 1973)

Samstag, 3. Juli 2010

Wir Kinder vom Bahnhof Pasing




Am 30. Juni 2010, also am „Tag Minus Eins“ vor Kister, rechnet die Süddeutsche noch mal mit Berlin ab. Zu teuer, zu lasch, zu groß, zu überflüssig. In der Reportage steht so viel Müll drin, dass selbst militante Pazifisten auf dumme Gedanken kommen können. Zu den albernen Milchmädchenrechnungen hat Rüdiger Schaper im Tagesspiegel schon das Allernotwendigste gesagt. Aber die größte Niedertracht stellt der folgende Satz dar, den wir frei zitieren müssen, weil sich die Süddeutsche aus naheliegenden Gründen nicht traut, ihren Offenbarungseid (jetzt: Eidesstattliche Versicherung) ins Netz zu stellen (und die gedruckte Ausgabe den milden Zorn des Lesers nicht völlig unbeschädigt überstanden hat):

„… gibt sich seit Suhrkamp als Mittelpunkt des deutschen Literaturbetriebes aus, obwohl seit „Berlin Alexanderplatz“ nichts Nennenswertes mehr aus dieser Stadt erschienen ist, außer dem Copy&Paste-Fiasko einer jungen Frau Hegemann.“
Das spricht weniger gegen Berlin als vielmehr für den Verdacht, dass man in München überhaupt nur zwei Bücher kennt. „Berlin Alexanderplatz“ (Deutsch-Grundkurs bei Herrn Dr. Schweinsteiger, Abijahrgang 1976), und „Axolotl Roadkill“ (wegen der versauten „Stellen“). Alles andere aus Berlin zwischen 1929 und 2009 ist offensichtlich einfach nicht über den Äquator gekommen.

Ist nicht alles Gold, und nur eine kleine Auswahl, aber durchaus nennenswert:

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (Christiane F.)
„Helden wie wir“ (Brussig)
„Treffen sich zwei“ (Hanika)
„Alix, Anton und die anderen“ (Hacker)
„Herr Lehmann“ (Regener)
„Feuer brennt nicht“ (Rothmann)
„Der kleine Bruder“ (Regener)
„Ullsteinroman“ (Nadolny)
„Tatarenhochzeit“ (Kirsch)
„Die Kosmonauten“ (Precht)
„Durch den Wind“ (Reich)
„Slumberland“ (Beatty)
„Fatherland“ (Harris)
„Der heilige Eddie“ (Arjouni)
„The Innocent“ (McEwan)

Ok., zugegeben: München steht auch nicht mit leeren Händen da:

„Mit Spaß zum Erfolg“ (Sepp Maier)
„Nummer Eins“ (Oliver Kahn)
„Der Wahnsinn liegt auf dem Platz“ (Jens Lehmann)
„Mein Tagebuch“ (Lothar Mattäus)









Sonntag, 27. Juni 2010

15.381




Das fand ich gut.

Frau Sirleschtov hat nachgerechnet:
Man kann das Grauen der FDP mathematisch fassen: 15381. So viele Wählerstimmen (geht man von den Umfragen aus) hat die blau-gelbe Westerwelle-Partei pro Tag verloren, seit sie im Bund regiert.
Von den 4,3 Mio. Zweitstimmen dürften also noch 1,9 Mio. übrig sein. Bei 62 Mio. abgegebenen Zweitstimmen (Sept. 2009) ist die F.D.P. inzwischen also bei 3,2%. Geht das so weiter, ist der Spuk am 3. November 2010 vorbei. Dann hat die F.D.P. nämlich nur noch eine Stimme, und die ist, wie wir wissen, hässlich, laut, hysterisch und immer ein bisschen zu aufgeregt.

Den fand ich auch gut.

Den meist gehörten Satz der Reporter bei den WM-Spielen:

„Mh. Falscher Einwurf. Sieht man eigentlich selten bei einem solchen Turnier.“

Samstag, 26. Juni 2010

Multitasking








 








Das fand ich gut.

Ein Schweizer wird in Singapur zu einer Haftstrafe verurteilt. Zwei Delikte, zwei Haftstrafen, einmal drei und einmal zwei Monate. So weit, so gut. Aber dann kommt’s:

„Die Haftstrafen laufen parallel, so dass er nach drei Monaten entlassen wird.“
Rätselhaftes Land des Multitasking, wo man in drei Monaten fünf Monate absitzen kann. Ob das bei Geldbußen auch funktioniert?

Das fand ich noch besser.

„Für das Grössere Fussballtor e.V. (2004 bis 2009)“ wirbt dafür, dass Fußballtore, err, naja…, größer gemacht werden, damit mehr Bälle reinpassen. Eigentlich ist schon die Anzahl von Rechtschreibefehlern im Namen bemerkenswert, aber es kommt noch besser:

„Auf jeder Seite um ca. 7 cm und ca. 9 cm in der Höhe. Dann ist nahezu jeder zweite Latten- oder Pfostenschuss ein TOR!“
Nicht kapiert. Also, noch mal:

„Auf jeder Seite um ca. 7 cm und ca. 9 cm in der Höhe. Dann ist nahezu jeder zweite Latten- oder Pfostenschuss ein TOR!“
Immer noch nicht kapiert. Wenn man die Latte um 14 cm verlängert und die Pfosten um 9 cm erhöht, gehen weniger Bälle gegen „das Alu“? Und wenn trotzdem mal ein Ball dagegen trifft, ist es trotzdem ein TOR? Also ich bin dafür.















Samstag, 5. Juni 2010

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz n.F.



Das fand ich gut.

Was darf Satire? Nach Ansicht von Kurt Tucholsky alles, nach Ansicht des BGH alles, was langweilig ist, keinen stört und keiner lesen will.
Aber was darf Humor? Nach Markus Ehrenberg offensichtlich alles, sogar völlig unkomisch sein.

Anders als bei „Wilsberg“ oder „Ein starkes Team“ kommt Humor bei diesem Krimi nur am Ende auf, wenn sich die Ermittlerin nach getaner Arbeit mit ihrem Hausmeister auf das Dach ihres Hauses verzieht, sich ein Glas Rotwein gönnt, mit langem Blick auf den Dom.
Whoaaa! Hi hi!!„Mit langem Blick auf den Dom“!! Da muss man erst mal drauf kommen!!!

Das fand ich nicht gut.

Wann heißt es eigentlich Bankier und wann Banker? Wann spricht man von Studierenden und wann von Studenten? Ich dachte früher, das Erste ist jeweils moderner (oder – streng nach AGG – etwas geschlechtsneutraler) und das Letztere ein bisschen veraltet. Stimmt aber nicht. Ackermann ist ein Banker, wenn er wieder mal mit dem Victoryzeichen grüßt, aber wenn seine Frau entführt wird, spricht man von einer Bankierswitwe. Studierende protestieren gegen Unigebühren und machen den Bachelor, aber wenn sie in Bangkok wegen Drogen zum Tode verurteilt oder bei einem Verkehrsunfall verletzt werden, würde es schon etwas seltsam wirken, wenn man von dem „zu Tode verurteilten Studierenden aus Tübingen“ spricht.

Warum ist das so? Ganz einfach, die politisch korrekte Sprache ist eben eine Schönwettersprache. Wenn’s ernst wird, ist sie nicht verwendbar. Bei Festreden geht’s immer um die „Bürgerinnen und Bürger“ (bei Gabriel heißt das kurz: „Bürger und Bürger“), oder um „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“, aber bei ernsten Themen hört der Schmarrn auf. Oder wie wäre es angekommen, wenn Richard von Weizsäcker in seiner Ansprache zum 8. Mai 1945 folgende Formulierungen verwendet hätte:

„Während dieses Krieges haben die Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten viele Völker gequält und geschändet…Am Anfang der Gewaltherrschaft hatte der abgrundtiefe Hass Hitlers gegen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gestanden.“
Bisschen affig, oder? Was aber nur bei schönem Wetter was taugt, gehört in den Müll.

Beim Banker ist es natürlich genau umgekehrt, aber bei Ackermann ist ja alles ein bisschen anders.