Mittwoch, 3. März 2010

Wittenberge




Das fand ich gut.

Es ist ja schon erstaunlich, dass das Erdbeben in Chile trotz besserer Magnitude-Werte so viel weniger Unheil angerichtet hat als das in Haiti. Bisher konnte ich mir das nur so erklären: Entweder haben die Werte keinen direkten Zusammenhang zu der tatsächlichen Zerstörungskraft des Erdbebens, oder Chile war einfacher besser vorbereitet als Haiti. Und siehe da: Ich hatte mit beidem recht:

Auf Seite 28 erläutern Sandra Weiss und Ralf Nestler, dass die gemessenen Werte (7,2 in Haiti und 8,8 in Chile) nichts mit den Auswirkungen auf der Erdoberfläche selbst zu tun haben.

„Die Magnitude eines Erdbebens gibt lediglich an, wie viel Energie direkt an der Bruchstelle in der Tiefe freigesetzt wird“, sagt Birger-Gottfried Lühr vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). „Über das Maß der Zerstörung an der Oberfläche sagt die Zahl wenig aus.“
Das sieht Alexander S. Kekulé ein klitzekleines Bisschen anders:

Warum hatte das Beben auf der Karibikinsel so verheerende Auswirkungen? An der Stärke der Erschütterungen kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Dank der heute üblichen „Momenten-Magnituden-Skala“ (Mw) können die Energien der beiden Beben direkt verglichen werden…Offenbar haben sich die Schutzmaßnahmen bezahlt gemacht, die sich Chile nach der verheerenden Erdbebenserie von 1960 verordnet hatte.
Das fand ich nicht gut.

Es ist schade, wenn selbst beim Tsp. so gemobbt wird, dass den Opfern letzten Endes nichts anderes übrig bleibt als „Dienst nach Vorschrift“. Darunter kann auch die Qualität der Berichterstattung leiden.
Für 1,7 Mio Euro hat das Bundesministerium für Forschung und Bildung eine Studie erstellen lassen, aus der hervorgeht, dass es in Wittenberge genauso aussieht, wie es da eben aussieht: düster, traurig, leer, deprimierend. Natürlich muss auch das noch so Offensichtliche sorgfältig nachrecherchiert werde, man hat ja einen Ruf als Teil einer unabhängigen, kritischen und investigativen Presse zu verteidigen.
Akt 1
Pressekonferenz am Askanischen Platz.
Chefredakteur: Hier ist schon wieder so’ne langweilige Studie über die Zone. Trotzdem: Einer von euch muss dahin. Exklusivbericht über Wittenberge. Wer macht’s?
Redakteur 1, Redakteur 2 und Redakteur 3 (im Chor, hämisch kichernd): Der INGO!
Ingo Schmidt-Tychsen: Ne, nicht schon wieder. Ich war schon in 1990 in Bitterfeld, 1994 in Ruanda, 2003 in Bagdad, und letztens sogar beim FDP-Parteitag. Ich mach‘ nicht immer für euch die Drecksarbeit…

Akt 2
Abends bei Schmidt-Tychsens.
Ingo: Ich konnte mich nicht wehren. Die haben mich in der Hand…
Angelika: Immer noch die alte Geschichte mit der Kaffeekasse?
Ingo: Wenn’s nur das wäre…
Angelika: Pass auf: Mach‘s doch wie die anderen auch: Du fährst mit dem Zug hin, drehst dich einmal um, schreibst ein paar Zeilen über das, was du siehst und nimmst den nächsten Zug zurück.

Akt 3
Am nächsten Tag auf Seite 28 :
Wer sich einmal in Wittenberge aufgehalten hat, dessen Beobachtungen decken sich weitestgehend mit denen des Forscherteams. Allein der Bahnhof sieht verlassen aus. Der Fahrkartenschalter ist nur selten besetzt. Ein Automat? Gibt es auf dem Bahnhof nicht. Man muss ihn erst suchen, er steht etwas außerhalb und ist meistens defekt. Die Rollläden vieler Häuser hier sind heruntergelassen. Es ist schwierig zu sagen, wo jemand wohnt. Im Umfeld des Bahnhofs warten einige, die keine Arbeit haben. Auf was eigentlich? In einen der Züge, die von Hamburg nach Berlin rasen, steigen diese Menschen nicht ein.

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