Samstag, 14. Mai 2011

Il y a des juges




Zu BGH NJW 2011, 1363


Die Entscheidung des BGH ist nicht besonders spektakulär und wirkt auf den ersten Blick wie viele andere Wiedereinsetzungsentscheidungen des BGH, die man regelmäßig in der NJW findet (neben Schönheitsreparaturen im Wohnraummietrecht offensichtlich ein Steckenpferd des höchsten Zivilgerichts). Sieht man aber etwas genauer hin, zeigt der Fall wieder einmal, wie herablassend, blasiert und kaltschnäuzig die Justiz – hier das OLG Frankfurt – oft mit seiner Kundschaft umgeht.

Der Sachverhalt in Kürze:
Der Kläger, ein Rechtsanwalt, hat gegen ein Urteil des LG, das ihm am 27. Juli 2010 zugestellt worden ist, rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 8. Oktober 2010 beim OLG eingegangen. Der Kläger hat am gleichen Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und folgendes ausgeführt: Er habe als die Berufungsbegründung am 1. September 2010 mit der Anschrift: "Postfach 100 101, 60001 Frankfurt am Main" versehen abgesendet. Die Anschrift habe er dem Werk "NOMOS Taschenjurist 2008" entnommen. Der Brief sei am 3. September 2010 als unzustellbar zurückgekommen. Vom 2. September 2010 bis zum 5. Oktober 2010 seien die Kläger urlaubsbedingt in Kanada gewesen und hätten erst bei ihrer Rückkehr von der fehlgeschlagenen Zustellung Kenntnis erhalten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass das OLG noch vor Ablauf der Begründungsfrist durchentschieden habe, und dass auch in der Neuauflage des NOMOS die falsche Adresse des OLG Frankfurt stehe.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist nicht ein Skandal, es sind gleich drei.

1. Die Nichtzustellung
Dass das OLG dem Kläger die „falsche Adressierung“ zum Vorwurf gemacht hat, gliedert sich auf in zwei für sich allein genommen schon hochkarätige Unterskandale.
a) Die Adressierung war gar nicht falsch. Die vom Kläger gewählte Adresse befindet sich nach wie vor auf der offiziellen Homepage des Amtsgerichts Friedberg. Wenn das OLG dann umzieht, muss es einen Nachsendeantrag stellen. Wie jeder andere auch.
b) Wer ist denn eigentlich der böse Bube in dem miesen Spiel? Der Kläger, der die Justiz belästigt? Der Beklagte, der sicherlich die Zurückweisung der Wiedereinsetzung beantragt hat? Nein, natürlich die Post. Ein staatliches Unternehmen, das jedes Jahr im Dezember stolz verkündet, dass es jeden Brief an den „Weinachzmann“ (o.ä.) buchstäblich postwendend nach „16798 Himmelpfort“ weiterleitet, kriegt es nicht fertig, eine Berufungsbegründung beim „OLG Frankfurt am Main“ zuzustellen?

2. Der Prüfungsmaßstab

Wenn man zwei Hürden – dazu später – genommen hat, kann man in der Berufungsbegründung keine Fehler mehr machen. Man kann sich auf Gesetze berufen, die es nicht mehr oder noch nicht gibt, auf Urteile, die nie gesprochen wurden, man kann die abwegigsten Theorien vertreten und das Blaue vom Himmel erzählen – alles unschädlich und reparabel. Aber bei zwei Dingen kennen wir keinen Spaß und schon gar kein Pardon: Die Anschrift, Postleitzahl und Faxnummer müssen stimmen, haargenau und fehlerfrei, sonst war alles umsonst. Und natürlich die Unterschrift: die muss akkurat und lesbar sein und – ganz wichtig! – sich unter der Grußformel („Beglaubigte Abschrift anbei“) befinden.

3. Blitzverfahren

Mehrfach und jeweils einstimmig hat der Europäische Gerichtshof Deutschland gerügt, weil „die Überlänge der deutschen Gerichtsverfahren ein strukturelles Problem darstellt“. Nicht so in Frankfurt. Nimmt man das Ende der Begründungsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag als Ausgangszeitpunkt, hat das OLG Frankfurt für seine Entscheidung – 9 (in Worten: minus neun) Tage gebraucht.



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